Wenn Träume nur Träume sind
Sie wusste, er war nur eine Legende. Sie wusste auch, dass es unwahrscheinlich war, dass er jemals gelebt hat oder lebt. Und doch konnte sie nicht leugnen, ihn zu lieben.
Sie liebte ihn mit all seinen Geschichten, die so unwahrscheinlich waren, wie das Leben ohne Wasser.
Doch sie hatte ihn gesehen. In ihrem Traum und sie hatte sich sogleich in ihn verliebt. Sie wusste nicht warum sie von ihm träumte, doch sie wusste, dass er alles war, was sie wollte.
Es war eine klare, warme Nacht gewesen. Der kommende Sommer hatte das Wasser und die Erde erwärmt und alle Menschen in seinen Bann gezogen. Wenn der Sommer kam, war immer alles anders. Die Menschen und deren Verhalten unterschieden sich von dem, im Winter. Nur die Ursache kannte sie nicht.
Die Nacht war erhellt von Sternen und dem Mond, der gefüllt und weiß war. Es war eine wunderschöne Nacht, sie strebte sich gegen ihre Eltern und wollte nicht schlafen gehen. Sie zog die Luft tief und gierig ein, als wolle sie sich an diesen Abend immer und immer wieder entsinnen.
Doch dann übermannte sie bald die Müdigkeit und sie schlief ein. Tief und fest. Und dann kam er. Seine Augen glühten im Mondschein auf und er umfasste ihre Hände. Zärtlich, als könne sie zerbrechen, umarmte er sie, doch sagte er kein Wort. Fast lautlos liefen sie über die Felder und schenkten sich Blicke, die einem das Blut in den Kopf schießen ließ. Der Moment war fast zu heilig um den Mund zu öffnen um ihm etwas zu sagen, deswegen schwieg sie lieber und genoss jede Sekunde mit ihm, als ahne sie, dass dieser Traum vom Glück wirklich nur ein Traum war.
Er berührte sie und seine Hand umschloss ihr zartes Gesicht, das im Mondschein aus Porzellan zu sein schien. Ihre blauen Augen leuchteten auf, als er ihren Lippen immer näher kam.
Dann klingelte der Wecker und sie stand auf.
Ein Gefühl in ihr machte sich breit, als hätte sie etwas verloren, das ihr schon immer lieb war, und dennoch nicht wusste was es nun war.
Den ganzen Tag zerbrach sie sich den Kopf über diesen jungen Mann und konnte nicht fassen, dass diese wundervolle Realität doch nur ein Traum war.
Ihre Eltern fassten es an diesem Abend nicht, dass sie ohne zu murren ins Bett ging. Nur darauf erpicht schnell einzuschlafen, um ihn wieder zu sehen. Und auch diese Nacht kam er. Wieder stand der Mond hell am Himmel und die Sterne ließen seine Augen erglühen. Seine Lippen glänzten und seine braunen Augen musterten sie, als könne er nicht fassen etwas so wunderschönes zu treffen. Sie hielten sich stumm an den Händen und auch diese Nacht sprachen sie kein Wort, denn Worte hätten alles kaputt gemacht. Und das wollte sie auf keinen Fall.
Wieder kam er näher, strich mit seinen großen Händen über ihr dunkles Haar und küsste ihre Hände. Sie wünschte sich nicht sehnlicher, als von ihm auf den Mund geküsst zu werden, doch bevor das geschah, erwachte sie wieder am anderen Morgen.
Wieder fehlte ihr etwas, wieder hatte sie das Gefühl, alles verloren zu haben was sie liebte, doch niemals hatte.
Die Schule war eintönig und sie wollte zu ihm. Es war das erste mal, dass sie im Unterricht einschlief. Wieder war er da und von nun an kam er nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tag.
Immer, wenn sie grade nichts zu tun hatte, widmete sie sich ihrer hoffnungslosen Liebe zu und rief ihn in ihre Träumen herbei.
Doch auch ihre Eltern, Freunde und vor allem Lehrer machten sich große Sorgen. Sie konnten sich nicht erklären, wie ein Mädchen in solch einem Alter nur so müde sein konnte. Es war nun die Regel, dass sie siebzehn Stunden am Tag schlief. Siebzeh Stunden in denen sie bei ihm sein konnte. Ungestört.
Bald darauf wurde sie zum Arzt geschickte, der sie fragte, was los sein und sie antwortete die Wahrheit. Offen erzählte sie ihm, dass sie nur in ihren Träumen bei ihrer großen Liebe sein konnte.
„Doch Mädchen, höre mich an. Träume sind doch nur Träume. Du musst dich auf die Realität, auf das richtige Leben konzentrieren und dann findest du bestimmt genau diesen Jungen.“
Doch sie wusste genau, dass er nur in ihren Träumen existierte, dass sie ihn nur in ihren Träumen berühren und riechen könne.
Sie wurde geweckt, bevor sie ihren Slip ausziehen und ihn entkleiden konnte. Sie wachte auf, bevor sie ihm, wie nun eingeübt, jede Nacht, Auf Wiedersehen sagen konnte.
Männer brachten sie fort. Ihre Eltern weinten und murmelten immer wieder, was sie wohl falsch gemacht haben. Doch mit ihr war nichts schief gelaufen. Sie war normal, doch hatte sie eben ihre Liebe in ihren Träumen kennen gelernt.
Sie saß ganz alleine in ihrem Zimmer und widmete sich ihren Tagträumen. Er kam immer gleich und tröstete sie. Irgendwann werden sie dich verstehen.
Doch dann kam eine Nacht, die wieder hell und klar war. Eine Nacht, von der sie niemals jemandem erzählen könne. Die Sterne ließen seine braunen Augen erglühen und sein schwarzes Haar schimmerte im Mondlicht. Er lief auf sie zu und nahm ihre Hände, drückte sie fest und sagte ihr leise ins Ohr:„ Ich liebe dich. Von ganzem Herzen.“ Sie erwiderte seine Liebe innig, war der glücklichste Mensch auf Erden und er trug sie auf Händen. Doch als der alltägliche Kampf des Lichts mit der Nacht eintraf, sagte er ihr, dass er nun gehen müsse. Er müsse für immer gehen und könne nicht mehr zurückkehren. Es würde kein Auf Wiedersehen mehr geben. Keinen Traum mehr mit ihm. Sie konnte es nicht fassen, doch als sie an seinen Augen merkte, dass er die erbarmungslose Wahrheit sprach, starb sie tausend Tode in ihrem Traum. Sie schrie und flehte, er möge doch immer bei ihr bleiben, er hatte es doch so gesagt und sie es so gewollt. Alles hatte sie für ihn aufgegeben und nun wollte er sie alleine lassen.
Und sie starb in seinen Händen, die nicht mehr ihr gehörten. Und mit ihr starb auch der Traum.
Doch aus diesem Traum erwachte sie jedoch nicht mehr.
Sie hatte in diesem Traum gelebt, und war nun auch mit diesem Traum gestorben.